Hier bin ich:
Deine ewig treue, gute, alte Tante Tradition.
Ja, richtig, die mit den Ritualen.
Ich bin dein treues Geleit.
Die, die du als Kind kennen gelernt hast.
Als Jugendliche hinterfragt und hinter meinem Rücken oft belächelt.
Mal als langweilig empfunden, mal als anstrengend.
Damals habe ich deinen Widerstand geweckt.
Jetzt, wo du älter bist, mag ich deinen Widerstand stärken.
Lass dich doch von mir umarmen in diesen Tagen.
Lass dich halten und trösten.
Ich möchte dich begleiten.
Dafür bin ich da.
In mir bündeln sich alle so verschiedenen Kräfte deines Lebens:
Deine Sehnsucht.
Der Abschied von geliebten Menschen.
Und der Verrat, der alles zum Wanken gebracht hat.
Deine Zweifel am Leben, die Trauer über Verlorenes, der Schmerz über Gewesenes.
Und das Aushalten der Einsamkeit.
Das Nicht-Wissen über das, was kommen wird, deine Hoffnung auf Frieden und ein gutes Ende und der Neuanfang, der nun gelingen soll.
Dein Wachstum und deine Veränderung.
Ich bin zwar alt, aber durchaus verlässlicher als die menschliche Natur.
Ich wage das Schwere auszusprechen und widerspreche gleichzeitig der Verzweiflung.
Bei mir darfst du dich bergen, mit allem was du bist, kannst und weißt.
Mit mir kannst du Sonntage feiern.
Die Festtage.
Und das Kirchenjahr.
Mit mir kannst du beten.
Kerzen anzünden.
Dich unterbrechen und erinnern lassen.
Bei mir ist die Stille.
Das Einatmen und das Ausatmen.
Mit mir kannst du Meditieren.
Ich lese mit dir die Worte der Bibel.
Wir sprechen Fürbitten.
Wir segnen, singen, schenken und schmücken.
Scharen liebe Menschen um uns und tischen auf.
Aber eigentlich, wenn es nach mir ginge, habe ich nur sehr wenig vor.
Mit mir könntest du endlich einmal alles stehen und liegen lassen.
Und wir könnten uns hinsetzen und anfangen, über die Liebe zu sprechen.
Und über den, der sich nach dir sehnt und dich unendlich liebt.
Und dann wären wir durch diese ganzen Äußerlichkeiten hindurch da, wo wir hingehören:
Endlich zu Hause.
Bewahre mich, Gott, denn ich berge mich bei dir!
Psalm 16,2