Vor drei Wochen, mitten in der Nacht, stürzt unsere Nachbarin fünfzehn Steinstufen im Haus herunter und verletzt sich dabei lebensgefährlich.
Ein Unfall, der das Leben dieser Frau binnen weniger Sekunden vollständig verändert.
Und das Leben ihres Mannes mit.
Zwei Menschen – von jetzt auf gleich aus dem Alltag ihres beschaulichen Rentnerlebens gerissen.
Der Nachbar hält nur mühsam seine Tränen zurück, als er mir in seinem Wohnzimmer erzählt, was passiert ist.
Und ich?
Ich finde vor Schreck kaum Worte für dieses Unglück.
Mein Magen krampft sich schmerzhaft zusammen.
Mein Mund ist trocken und nichts Kluges, nichts Wegweisendes kommt aus ihm heraus.
Mir bleibt nichts anderes übrig, als da zu sitzen, da zu bleiben.
Ich höre zu.
Ich flüchte nicht. Ich vertröste nicht. Ich bagatellisiere nicht.
Ich sage: „Wenn wir helfen können, rufen Sie an!“
Vergewissere mich, dass er unsere Nummer noch hat.
Ermutige ihn: „Wenn Sie reden möchten, klingeln Sie doch bitte jederzeit!“
Und zurück in meinem Haus gegenüber denke ich an die Tränen die ich schon geweint habe und an das Leid im Leben vieler anderer Menschen.
Ich denke an das Osterfest, das wir in wenigen Wochen feiern werden und daran, dass auch Jesus Christus das Leiden am Kreuz nicht erspart worden ist.
Er weiß genau, was Qual und Schmerz bedeutet.
Gott verspricht, die Tränen abzuwischen und in einem Krug zu sammeln.
Er verhindert die Tränen nicht, aber keine einzelne geht bei ihm verloren.
Er bleibt. Bis die letzte Träne geweint ist.
Jesus Christus möchte sich selbst unter unser Kreuz stellen.
Und uns tragen helfen.
Möglicherweise einem neuen und anderen Leben entgegen…
Wie gerne würde ich den Menschen, die ich liebe, die Kreuze ihres Lebens ersparen!
Doch ich kann nur dabei bleiben.
Aushalten. Mittragen. Mitgehen.
Wenn ich in diesen Tagen ab und zu den Nachbarn treffe, hier bei mir zu Hause oder drüben in seinem Wohnzimmer, verstehe ich noch einmal ganz neu.
Ich lerne, wie wichtig es ist, einfach da zu sein und da zu bleiben.
Präsent zu sein. Ansprechbar.
Allen Tränen und Leid zum Trotz.
Ich erkenne, dass der Mensch nicht immer einen Rat oder Worte braucht.
Manchmal ist das Einzige, was er benötigt, eine Hand, die er halten kann.
Einen Blick, der mitfühlt.
Ein offenes Ohr und ein Herz, das versteht und aushält.
Die Seele eines Verängstigten braucht Zeit, Raum und menschliche Nähe.
Mehr braucht es manchmal wirklich nicht.
Manchmal braucht jemand nur dich.
Mag sein, dass diese Erkenntnis schon der erste Schritt hin zur Auferstehung ist.
Ostern, geschehen an einem Werktag in der Fastenzeit, in einem Wohnzimmer beim Nachbarn.
Foto: unsplash | Matthew Henry